Um die Jahrhundertwende traten die Engener Musiker mehr und mehr unter der heutigen Bezeichnung „Stadtmusik“ an die Öffentlichkeit. Mit dem Aufschwung, den die Musik in diesen Jahren nahm, ist ein Name sehr eng verknüpft: Der des aus Hilzingen kommenden Dirigenten Otto Riede. Und die in der Chronik verzeichneten Auftrittsverpflichtungen lassen darauf schließen, dass Blasmusik aus Engen unter Riedes Regie in der Region einen sehr guten Ruf genoss: Beim Sängerfest des Hegau-Sängerbunds in Radolfzell und dem 16. Hegau-Turnfests in Singen spielte die Stadtmusik Engen auf, der kaufmännischer Verein Konstanz engagierte sie zu einem Waldfest, und als in Tuttlingen das Denkmal für Martin Schneckenburger, den Dichter der „Wacht am Rhein“ eingeweiht wurde, bestritten die Engener Musiker und die Kapelle aus Rottweil das Festkonzert. 1898 wurde die Stadtmusik Engen mit der Ausrichtung des dritten Musikfests des Hegauer Verbandes betraut. Das Wertungsspiel der Kapellen im Rahmen des Fests brachte den Musikern einen schönen Erfolg – sie holten sich einen „1a“-Preis.

Der I. Weltkrieg brachte natürlich auch für die Engener Stadtmusik einen tiefen Einschnitt. Aber bereits ein Jahr nach Kriegsende wurde in Engen wieder für Auftritte geprobt – jetzt übrigens nicht mehr wie vorher im Rathaus, sondern im Schützenturm, wo die Musik bis 1964 beheimatet bleiben sollte. Die Jahre zwischen den Weltkriegen waren allerdings nicht von Harmonie, sondern vielmehr von mehreren Krisen und Dirigentenwechseln geprägt. 1932 schließlich führte dies zur neuerlichen Auflösung der Stadtmusik. Die Wiederbelebung der musikalischen Aktivitäten stand dann unter dem unheilvollen Zeichen des Hakenkreuzes. Als „NS-Musikzug“ spielten die Blasmusiker aus Engen bis zum Ausbruch des II. Weltkrieges.

1946 trafen sich die ehemaligen Musiker wieder, um über eine Neugründung der Stadtmusik nachzudenken. Drei Jahre später war es dann soweit: Am 16. Januar 1949 hatte Engen wieder seine Stadtmusik. Der Engener Kaufmann Hugo Leuenberger übernahm die Leitung der Kapelle und schaffte es, sie in kurzer Zeit wieder auf ein beachtliches musikalisches Niveau zu bringen. Eine längere Zeit als Dirigent war Hugo Leuenberger leider nicht vergönnt -seiner Schweizer Staatsangehörigkeit wegen: Die Militärregierung untersagte ihm deswegen die weitere Tätigkeit als Leiter der Engener Stadtmusik. Mit der ersten Generalversammlung am 2. Februar 1952 wurde der Grundstein für die heute noch bestehende Organisationsform der Stadtmusik Engen gelegt. Nicht als Verein, sondern unter der Trägerschaft der Stadt wurde die Stadtmusik von nun an geführt. Zur Weihnachtsfeier 1952 konnte sich die Kapelle dann mit einem Nachfolger für Hugo Leuenberger präsentieren. Der frühere Militärmusiker Paul Wittke übernahm den Taktstock. Und er feierte mit der Stadtmusik bereits beim Bundesmusikfest 1953 in Singen einen beachtlichen Erfolg: In der Oberstufe erspielten sich die Engener die Bewertung „Gut bis Sehr Gut“. Es folgten weitere beachtliche Leistungen: Zwei erste Ränge mit Prädikat „Vorzüglich“ beim kantonalen Musikfest Schaffhausen und ein „Sehr Gut bis Vorzüglich“ beim Hegau-Musikfest 1957 in Volkertshausen.

Interne Probleme stellten die Stadtmusik anfangs der 60er Jahre auf eine Bewährungsprobe. 1964 legte Paul Wittke den Dirigentenstab nieder. Zwar konnte der Singener Musikdirektor Ludwig Stock als Nachfolger Wittkes gewonnen werden. Als dieser aber sein Amt antrat, war die Schar der Stadtmusiker auf ein kleines Häuflein geschrumpft.

Im Jahre 1966 wurde ein Mann an die Spitze der Stadtmusik gewählt, der für mehr als zwei Jahrzehnte zu einer prägenden und stabilisierenden Figur werden sollte: Der Engener Architekt Norbert Heil blieb bis ins Jahr 1990 Vorsitzender der Kapelle. Noch einmal hatte nach dem Ausscheiden von Musikdirektor Stock Paul Wittke die musikalische Leitung. 1970 übernahm der Dirigent der 1964 gegründeten Knabenkapelle Engen, der Lehrer Georg Altmann, auch den Taktstock bei der Stadtmusik – eine günstige Konstellation für das bis dato nicht immer ganz ungetrübte Verhältnis zwischen beiden Orchestern. 1975 schließlich wurde aus den beiden konkurrierenden Kapellen eine Einheit: Norbert Heil wurde in der Generalversammlung des Nachwuchsorchesters im April 1975 auch zum Vorsitzenden der Jugendkapelle gewählt.

Ein Ereignis sticht aus der Chronik der 70er Jahre besonders heraus: Zum 150jährigen Jubiläum, das 1971 begangen wurde, verlieh der damalige Landrat Dr. Göbel der Stadtmusik im Auftrag des Bundespräsidenten die „Pro-Musica-Plakette“. Es folgten Jahre der Aufbauarbeit und der Nachwuchs-Förderung, die die mittlerweile zwei Abteilungen der Stadtmusik, Stadt- und Jugendkapelle, auf einen soliden Mitgliederstand brachten.

1977 allerdings war das Dirigentenpult wieder verwaist – Georg Altmann verließ Engen nach seiner Pensionierung, und die Bemühungen um einen adäquaten Nachfolger erwiesen sich als äußerst schwierig. So kam Norbert Heil zu der arbeitsintensiven Aufgabe, die Stadtmusik für zweieinhalb Jahre nicht nur als Vorsitzender, sondern gleichzeitig auch als Dirigent zu leiten. Den Taktstock bei der Jugendkapelle übernahm 1978 der Stadtmusiker und Jugendausbilder Hinrich Wilkens. Obwohl längst im Ruhestand, leitete er das Nachwuchs-Orchester bis 1982 mit viel gestalterischem Einsatz und Erfolg.

Mittlerweile war man bei der Stadtkapelle auf der Suche nach einem qualifizierten Leiter fündig geworden: Ulrich Hiller, der frühere Dirigent des Höchststufen-Orchesters „Stadtharmonie Villingen“, begann am 1. Juli 1980 seine Arbeit als Leiter der Stadtmusik und übernahm zwei Jahre später auch den Taktstock bei der Jugendkapelle. Unter seiner Regie schafften beide Orchester innerhalb kurzer Zeit zwei der bisher größten Erfolge in der jüngeren Geschichte der Stadtmusik: 1983 nahm die Jugendkapelle in Stockach, im Jahr darauf die Stadtkapelle in Überlingen/See in der Oberstufe an Wertungsspielen teil. Das Urteil der Preisrichter lautete in beiden Fällen gleich: „Erster Rang mit Auszeichnung“ – die Höchstnote.

In der Generalversammlung des Frühjahrs 1990 konnte Norbert Heil nach 24 Jahren voller großem Einsatz für die Stadtmusik beruhigt den Vorsitz in andere Hände abgeben. Karl-Heinz Graf hieß der Nachfolger für vier Jahre. Und 1994 schließlich übernahm der heutige Vorsitzende Klaus Martin die Führung der Stadtmusik.

Vom 7. – 9. Juli 1995 erfüllte sich die Stadtkapelle einen langgehegten Wunsch. Zum 175jährigen Jubiläum nahmen sie in der Glaserei Knechtle in Engen die erste CD auf: Der Titel wurde auf die Situation -das Jubiläum- ausgelegt und lautet „Jubelklänge“. Diese 16 Stunden intensivster und hochkonzentrierter Musikarbeit waren für alle Musiker sehr anstrengend, zumal an diesem Wochenende Temperaturen zwischen 30 und 35 Grad Celsius herrschten

Seitdem sind nun 5 Jahre vergangen – fünf Jahre in denen die Stadtmusik mit fleißiger, engagierter Probenarbeit und gelungenen, anspruchsvollen Konzerten ihren Ruf als eines der besten Blasorchester der Region gefestigt und ausgebaut hat.

180 Jahre alt ist sie geworden, die Stadtmusik Engen und doch könnte sie in ihrer heutigen Verfassung kaum jünger und moderner sein. Die Nachwuchs-Ausbildung floriert, Mädchen und Jungen , Frauen und Männer mit den unterschiedlichsten Berufen und aus den unterschiedlichsten Altersstufen machen mit ihrer Freude an der Musik, mit ihrer Bereitschaft zu einer aufwendigen und anspruchsvollen Probenarbeit das Gesamturteil „Stadtmusik“ aus – und sie beweisen mit jeder Probe, mit jedem Konzert aufs Neue, dass Blasmusik „Made in Engen“ kein verstaubtes Relikt aus der Mottenkiste, sondern moderner und quicklebendiger Ausdruck von Musikalität mit Anspruch ist.